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Medienkult um 'bunte Panther'
 
Von Alten, die mit Althergebrachtem brechen
 
VON PHILIP BÜTTNER
 
Mittwoch, 26. Januar 1994 BEILAGE Süddeutsche Zeitung Nr. 20 / Seite 54

 
Und wo bleibt die Würde des Alters?', fragt die Dame am Telefon. 'Die können sie unter dieser Nummer nicht erreichen', antwortet Lotti Huber, Star aus Rosa von Praunheim- Filmen, Tänzerin, Sängerin, Performerin und Autorin. In ihrem Bestseller mit dem programmatischen Titel 'Diese Zitrone hat noch viel Saft', nach dessen Erscheinen sie ihre Feierabende in Talk-Shows verbrachte, stellt die heute 81jährige einige grundsätzliche Dinge über das Altsein klar. 'Ich bin nicht die alte, weise Frau, die erhaben über dem Leben steht. Ich riskiere, ich fordere heraus, ich will mittendrin stehen.' Doch Jugendlichkeit läßt sich die omnivitale Halbwelt-Diva nicht unterschieben. 'Ich bin nicht jung! . . .', schmettert sie allen entgegen, die versuchen, in ihrer Person die ewige Jugend zu entdecken, '. . . aber immer bereit etwas dazuzulernen'.
 
Fixsterne und Kometen
 
Nicht so ihre Berufs- und Alterskollegen, die sich als Dinosaurier in der Medienlandschaft tummeln und kaum noch für eine Überraschung gut sind. Ist Lotti Huber eine geborene und leidenschaftliche Selbstdarstellerin, so haben es sich andere bequem in der immer gleichen Darstellung eines Klischee-Bildes eingerichtet. Durchaus liebenswerte Beispiele sind zu nennen: Johannes Heesters, der 'Grandseigneur' und ewige 'Charmeur', der auch nach seinem 90sten noch so gern die Damen betört. Zylinder, Frack und weißer Schal sind die Uniform, in der er durch das Leben schreitet. Oder Inge Meysel, 83, eingeschworen auf die Rolle der 'Mutter der Nation', die sich mit viel Herz und Berliner Schnauze für das Gute einsetzt; eine 'Mutter Courage' für das ganze Volk, und das schon, seit ihr die ersten Haare ergrauten. Oder der 'Kölsche Jung' Willy Millowitsch, der gerade seinen 85ten volksfestartig feiern ließ, und für jedes 'Kölle Alaaf', das er ausruft, noch heißer geliebt wird. Solche Altstars sind zu Jahrzehnte währenden Konstanten im Leben ihrer Mitbürger geworden. Gegen einen Hitparadenstürmer wie Lotti Huber allerdings, wirken sie wie alte Schellackplatten mit Sprung. Nicht nur 'uns' Willi', auch der 'König der Haie', in den fünfziger und sechziger Jahren zum Idol geworden, feierte soeben einen großen 'Runden'. Hans Hass ist mehr als eine Legende. Sein 75ster Geburtstag ist dem Tiefsee-Pionier vor allem ein Anlaß nun erst recht aktiv zu werden. Seinen Ehrentag und seine Prominenz nutzt er, um auf der derzeitigen 'Boot'- Messe in Düsseldorf seine Ideen zum Schutz der Weltmeere publik zu machen. Er, der summa summarum ganze Jahre seines Lebens im Element Wasser verbrachte, auf Haien ritt und noch heute gerne schnorchelt, hat von der Gesellschaft dort in der Tiefe viel gelernt. 'Nur der überlebt gut, der sich nicht rücksichtslos bereichert', warnt er die Menschen vor ihrem eigenen, zerstörerischen Egoismus. Das Wissen des Biologen ist gefragt wie nie: Hans Hass' erste Biografie ist auf dem Markt, sein neues Buch 'Der Hyperzeller' erscheint im April, und SAT1 dokumentiert seine Abenteuer und Forschungen seit dem 15. Januar in einer 13-teiligen Serie. Mittlerweile zeigen uns die Medien mehr 'neue Alte', die in ihrer Ungewöhnlichkeit und Farbigkeit teilweise zu wahren Kultfiguren avancierten. Das Ausland weist den Weg. Die amerikanische Comedy-Serie 'Golden Girls', die nach kurzer Auszeit ab 19. April wieder mit neuen Folgen in der ARD zu sehen ist, hat gleich vier betagte Unikate zu bieten. Allen voran Estelle Getty als Mutter Sophia, die die Seniorinnen-WG mit bissigem Zynismus im Griff hält und das Publikum mit entwaffnender Offenheit bei Themen von Klimakterium bis Krampfadern begeistert. Der Golden Globe, der Emmy Award und ein gut verkauftes Buch waren der Lohn dafür. Aus dem britischen Fernsehen haben VOX und 3SAT eine Talk-Show eingekauft, die sich zu später Stunde eine feste Anhängerschaft gesichert hat. 'Dame Edna', verkörpert von dem 58jährigen Australier Barry Humphries, ist das glitzernde Abbild der gutbürgerlichen Londoner Hausfrau und die schärfste Lästerzunge der Showbranche. Unter der violetten Thatcher-Frisur und hinter der übergroßen Schmetterlingsbrille steckt gepflegte Bosheit. Größen aus Politik und Showgeschäft rennen Humphries, nach dem in Melbourne bereits eine Straße benannt ist, die Tür ein, um als gebeugte Menschen den Saal wieder zu verlassen. Zu Hollywood-Star Mel Gibson sagte er, er sähe aus wie ein Swimmingpool-Reiniger, Jane Fonda servierte er mit der Bemerkung ab: 'Komm wieder, wenn du etwas Anständiges zum Anziehen hast' - ein nächtlicher Kaffeeklatsch, der die halbe Welt begeistert. Auch scharfe Sprüche der bayerischen Art locken allsonntaglich zehn Millionen Menschen vor den Bildschirm. Seit acht Jahren macht die 73jährige Annemarie Wendl als Hausmeisterin Else Kling hygienisch und moralisch in der 'Lindenstraße' sauber. Sie grantelt, schimpft und spioniert und mag eigentlichen keinen außer ihrem Putzeimer. Diese wahrhaftige Darstellung einer Realität, wie sie in deutschen Mietshäusern nun einmal zu finden ist, machte die Kling zur Kultfigur. Wie zum gruseligen Vergnügen kann man den Hausdrachen bereits als Silbermünze, als Telefonkarte oder in der Schneekugel immer bei sich tragen. Die Rolle prägt Annemarie Wendl, die auf der Straße schüchtern mit 'Grüß Gott, Frau Kling' angesprochen wird, und das obwohl sie privat ein ganz anderer Mensch ist, und eigentlich lieber Rock von 'Haindling' spielt als Treppen putzt.
 
Doch damit erleidet sie nur das natürliche Schicksal einer jeden Kultfigur, ob man nun Kojak, Sissi oder auch Reklame- Oma Klementine nimmt. Die feiert seit Juni letzten Jahres ein rauschendes Comeback mit dem 'Jumbo-Öko-Nachfüllpack' einer Waschmittelfirma, die durch sie einst Marktführer geworden war. Zwischen all den Onkels, die in der Werbung Bonbons verschenken und Tanten, die ihre strahlenden Dritten zeigen, hat Johanna König, 72, als hemdsärmelige Klementine einen derartig starken Eindruck hinterlassen, daß ihr die Fans über ganze zehn Jahre Sendepause die Treue gehalten haben. Als der Werbespot Anfang der achtziger Jahre ausgesetzt wurde, starteten enttäuschte Hamburger Anhänger die 'Rettet Klementine!'-Bewegung, und jedes Jahr zum Fasching und Karneval verkleideten sich Menschen in der ganzen Republik mit Latzhose und Klementine-Kappe. Den Latz hat die burschikose Dame inzwischen aus Stilerwägungen gegen eine Armani-Bluse ausgetauscht, doch keß ist sie wie schon 1968: 'Also Freunde...!', ruft sie wieder ins Land - die 'Hüterin der Sauberkeit' ist zurück. Doch schnell kann ein Kult auch zum Anti- Kult umkippen. Werbekollege und Orangenzüchter Rolf Dittmeyer zum Beispiel, ebenfalls 72, propagierte seinen Saft selbst im Fernsehen und langte damit kräftig daneben. Wie er in dem Spot mit Fistelstimme einem kleinen Mädchen seinen 'Frischgepreßten' andreht, störte viele. Der provokante Song 'Tötet Onkel Dittmeyer' der Rockkabarettisten 'Die angefahrenen Schulkinder' war plötzlich in aller Munde und führte zur Absetzung des Films.
 
Lebenslust statt steifer Würde
 
Ein anderer Weißschopf kann sich dagegen der innigen Zuneigung der Zuschauer gewiß sein. Mit bald 81 Jahren ist Marga Maria Werny als 'Oma Sharif', nur selten unterstützt von 'Opa Ammergau', die entscheidende Dritte im Bunde mit Harald Schmidt und Herbert Feuerstein in der Spätabend-Show 'Schmidteinander', die nach drei Jahren in West 3 nun jeden zweiten Samstag im Ersten läuft. Dort schießt sie mal als Mafiosi- Mamma in die Gegend, turnt mal in Leggings dem Publikum vor, ist immer liebenswert und auf dem Höhepunkt ihrer Schauspieler- Karriere. In jungen Jahren hatte sie mit ihren schönen Beinen als Modell und später am Theater Geld verdient, aber einen Briefkasten voller Fanpost hat sie erst heute. 'Ich glaube, bei den Briefen ist auch ein bißchen Liebe mit dabei', sagt sie gerührt. Das gibt der Kölnerin die Kraft, die sie für ihr aufregendes Leben braucht. Im letzten Jahr verkaufte sie auf dem Alter Markt in der Domstadt Kondome und warnte die Passanten: 'Schützen Sie sich!' Für die Zukunft plant sie mit ihrer bulgarischen Freundin einen Bauernhof in der Eifel zu kaufen, um bessere Luft zu atmen. Viele Gleichaltrige findet Oma Sharif recht langweilig, vor allem solche, die einen gemeinsamen Spaziergang ausfallen lassen, nur weil es regnet. Da zieht sie schon das anarchische 'Schmidteinander'- Team vor, das 'einfach Zucker' ist. Es gibt sie also die Alten, die sich nicht im Schaukelstuhl verkriechen oder sich als lebende Denkmäler in eine Form festgießen lassen, nur weil sich die Zahl ihrer Lenze beträchtlich summiert. Eine gerontologische Studie zeigt, daß 98 Prozent der 60-70jährigen noch kompetent und allein ihr Leben meistern, bei den über 90jährigen sind es immerhin noch 59 Prozent. Die Tatkraft ist da - fehlt nur oft der Wille. Vielleicht können da unkonventionelle Mediensenioren, die ein wenig von ihrer Alterswürde aufs Spiel setzen, aber eine Menge Lebendigkeit gewinnen, zu neuen Taten inspirieren. Mit Bedauern betrachtet die 'grand-mère terrible' Lotti Huber jene, 'die sich ihrer Falten bewußt werden, nicht aber ihrer Fähigkeiten'. Was spielt das Alter schon für eine Rolle, wenn man wie die Huber weiß: 'Jede Zeit ist meine Zeit.'

SZ - Medien 26.1.1994 - Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München