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Frankfurter Allgemeine SonntagszeitungNagel in der Nase
 
Humor ist Arbeit im Gespräch: "Schmidteinander" (ARD)
 
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.2.1994, Nr. 49, S. 34 (Feuilleton)
 
Politik und Humor sind kommunizierende Röhren. In den siebziger Jahren wirkte die öffentlich vorgebrachte Satire vor allem im Zeichen politisch korrekter, ja systemsprengender Aufklärung. In den Achtzigern diente sie der kritischen Grundierung des ökohedonistischen Lebensgefühls der neuen Mittelschichten. Im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert bildet sie nun eine Synthese aus abgeklärter Aufklärung und routiniertem Dauerkarneval. Wo das Kabarett einst versuchte, intellektuelle Ordnung ins Chaos der Welt zu bringen, da präsentiert es jetzt triumphierend die Unordnung in den Zeiten der geistigen Verwirrung.
 
Das Chaos ist Mittel zum Zweck, und die Satire so politisch wie die neueste Wahlkampfparole der CDU und so avantgardistisch wie die Satellitenkonferenz der sozialdemokratischen Bezirksfunktionäre. Politik ohne Bart und Brille im Videozeitalter - das ist die Herausforderung des deutschen Humors an der Schwelle der Jahrtausendwende.
 
Harald Schmidt, im Düsseldorfer "Kom(m)ödchen" von Kay und Lore Lorentz hart geschult und schwer geprüft, hat dies schon früh erkannt und das klassische "Brettl" mit dem Fernsehstudio vertauscht. Beim samstäglichen "Schmidteinander", von den dritten Programmen, wo die Frage "Verstehen Sie Spaß?" eher einer strukturellen Minderheit gestellt wird, ins erste Programm der ARD gewechselt, verwandelt sich Politikverdrossenheit augenblicklich in Humorbesessenheit, sonst herrschende staatsbürgerliche Larmoyanz in lebensweltliche Lachfreude.
 
Der stets frisch gefönte Moderator mit der Aura des Lieblingsschwiegersohns (auch die Haare dürfen jetzt wieder länger werden) begrüßt die Zuschauer wie die Gäste einer tollen Party, bevor er in extremer Silbendehnung seinen Partner, Spiritus Schmidt Rex und Koautor Herbert Feuerstein, annonciert, als sei der ein David Latterman der deutschen Fernsehunterhaltung.
 
Er ist aber nur Herr Feuerstein mit der Ausstrahlung eines Sparkassensachbearbeiters. Dafür sitzt er an seinem eigenen Schreibtisch und ist sein eigener Herr als Mensch und Gag-Erfinder. Worin seine konkrete Schreibtischarbeit im Studio besteht, bleibt dagegen unerfindlich. Entscheidend ist das kommunizierende Verhältnis zum Schreibtisch von Herrn Schmidt, die symbolische Botschaft der kommunikativen Dialogstruktur: Humor ist erstens Arbeit und gelingt zweitens nur im Gespräch, eben schmidteinander.
 
So werfen sie sich die Bälle zu, harmlose Kabbeleien und kleine Seitenhiebe, hübsche Invektiven und böse Kalauer, dazwischen eingespielte Sketche von der MAZ, ein nettes Brecht-Lied mit dem warnend blinkenden Insert "Kultur", Tanzeinlagen der "Schmidteinander Hupf Dolls" und Rocksongs der Gruppe "Lucky Petersen", einen Mann, der sich einen Nagel in die Nase hämmert und Stargast Elke Sommer, die, spontan gebeten, einen kleinen Tigerkopf auf Harald Schmidts behaarte Brust malt und damit beweist, daß sie weder zweihundert Jahre alt ist noch vom Verkauf selbstgestrickter Pullover lebt, wie ihre teuflich böse Hausnachbarin von Beverly Hills, Hollywood-Diva Zsa Zsa Gabor behauptete.
 
Als wäre all dies noch nicht genug der Travestie und Persiflage, schaltet man bei Schmidteinander immer wieder einmal hinüber in den Kölner Hauptbahnhof, um die Pünktlichkeit der Züge zu überprüfen. Dort steht leider nicht Hape Kerkeling, sondern nur eine WDR-Kamera samt Mikrofon. Das Ergebnis ist doppelt niederschmetternd, für die frisch umbenannte "Deutsche Bahn AG" wie für die zarte Kulturpflanze der Ironie im öffentlich-rechtlichen Unternehmen Deutsches Fernsehen: Das Chaos, hier die bedauerliche Unpünktlichkeit der Züge und die triste Zugigkeit der Bahnsteige, auf denen niemand unterhaltsam Rede und Antwort stehen mag, ist gar nicht witzig.
 
Der Ausflug in die real existierende Wirklichkeit demonstriert die Schwäche des satirischen Mimesis-Prinzips. Die Strategie der satirischen Pseudo-Affirmation läuft sich allzu oft an ihren Objekten tot, versandet in der Mediokrität des kabarettistischen Gegenstands, aus dem keine Funken zu schlagen sind. Auch der telefonische Ausflug in die Selbstbezüglichkeit des Mediums, der "spontane Anruf bei Alfred Biolek zu Hause", ergibt nur die matte Information, er, Biolek, habe gerade ein schmackhaftes Hähnchen in einer leichten Cinzano-Salbei-Soße zu sich genommen. Immerhin muß es ihm so gut bekommen sein, daß er kurz darauf für einen Sekundenauftritt leibhaftig im Studio erschien und so den Verdauungsspaziergang schon hinter sich gebracht hatte.
 
Das Zitat des Zitats ist wie die Persiflage der Persiflage und die Puppe in der Puppe: Der Witz wird immer kleiner.
 
REINHARD MOHR

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.2.1994, Nr. 49, S. 34 (Feuilleton) - Alle Rechte vorbehalten