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Berliner ZeitungIch habe nichts gegen Stammtische
 
Jürgen von der Lippe über seinen Kinofilm "Nich' mit Leo" und die Gratwanderung der Komik
 
Die meisten deutschen Kabarettisten wagen irgendwann den Sprung ins Kino. Nun gibt Jürgen von der Lippe, mit seiner Sendung "Geld oder Liebe" einer der erfolgreichsten Fernseh-Unterhalter, sein Film-Debüt: In der Komödie "Nich' mit Leo" spielt er gleich drei Rollen. Das Drehbuch stammt ebenfalls von dem Alleinunterhalter, der seit 1981 so ziemlich jede deutsche Kleinkunstbühne bespielt hat. Vor dem Filmstart sprach Ralf Schlüter mit Jürgen von der Lippe.
 
Berliner Zeitung: In "Nich' mit Leo" spielen Sie - unter anderem - einen Pfarrer. Stimmt es, daß Sie als Jugendlicher ursprünglich diesen Beruf ergreifen wollten? Jürgen von der Lippe: Ja, und damit bin ich nicht allein. Meine Kollegen Max Schauzer, Thomas Gottschalk und Frank Elstner wollten das als Kind auch mal. Offensichtlich gibt es zwischen Seelsorger und Entertainer eine Verbindung.
 
Wozu bekehren Sie denn ihr Publikum?
 
Wenn man es schon überhöhen möchte: Ein Entertainer will doch den Leuten für ein paar Tage Kraft geben, mit dem üblichen Scheiß weiterzumachen. Ich glaube, das will ein Seelsorger auch. Sie sind jetzt zum ersten Mal in einer Hauptrolle im Kino zu sehen und haben auch das Drehbuch selbst geschrieben.
 
Warum soll sich ein Kinogänger, wenn er vor der Kasse steht, für Jürgen v. d. Lippe entscheiden anstatt für, sagen wir, Sharon Stone?
 
Weil Sharon Stone nicht so witzig ist wie ich.
 
Gut, nehmen wir Steve Martin.
 
Den finde ich auch nicht so doll. Aber im Ernst: Das ist natürlich ein Problem des ganzen deutschen Films. Man muß kein Cineast sein, um den Unterschied in der ästhetischen Qualität zu spüren. Auch die letzte Nebenrolle ist in einem Hollywood-Film hochkarätig besetzt. Von dem, was mein ganzer Film kostet, macht Schwarzenegger noch nicht mal einen Stunt. So muß ich mich auf das besinnen, was mit wenig Geld zu machen ist und wo ausländische Filme auch ihre Schwächen haben: Dialogqualität, Sprachwitz und Stoffe, die etwas mit unserer Wirklichkeit zu tun haben. Das Kino war die letzte große Herausforderung. Ich komme ja von der Bühne her, was nach wie vor mein eigentliches Ding ist. Dann kam Rundfunk, dann Drittes-Programm-Fernsehen, dann Erstes Programm. Abgesehen davon habe ich schon mal einen Auftritt im Kino gehabt, im ersten "Supernasen"-Film mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger. auf seine Art ein Klassiker. Sie werden von mir nichts schlechtes über diesen Film hören. Er hat etwa sechs Millionen Zuschauer gehabt. Wieviel deutschen Filmen gelingt so etwas schon?
 
Harald Schmidt, Herbert Feuerstein und Dirk Bach spielen in "Nich' mit Leo" mit. War der Film als Ensemblefilm für Kabarettisten gedacht?
 
Nein, das hat sich einfach so ergeben. Das sind klassische Gastauftritte, wie man sie etwa bei Robert Altman auch hat. Ich habe die Kollegen zufällig getroffen, ihnen von der Idee erzählt und alle waren spontan davon angetan. Ich glaube, für diese Rollen muß sich keiner schämen - die Szene, in der Dirk Bach sich als Masochist von dem Pfarrer biblische Folterszenen erzählen läßt, ist meine absolute Lieblingsszene.
 
Nein, mit Harald Schmidt zum Beispiel liege ich bei "Geld oder Liebe" ungefähr gleichauf. Natürlich hat diese ganze Schlacht um die Quoten hysterische Züge angenommen. Das Problem ist, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf die Herausforderung durch die Privaten zum Teil falsch reagieren. Man muß ihnen Kontinuität entgegensetzen. Nehmen wir mal ein positives Beispiel: "Boulevard Bio" lief am Anfang sehr schlecht. Die ARD hat die Sendung aber nicht gleich abgesetzt, sondern sie sich entwickeln lassen. Heute ist sie ein Prunkstück gehobener Unterhaltung. Sowohl im Fernsehen als auch auf der Bühne bewältigen Sie eine Gratwanderung zwischen Satire und Stammtisch-Witzen Ich habe erstmal nichts gegen Stammtische. Daß vielleicht bestimmte Kritiker über meine erotischen Witze nicht lachen können, ist legitim. Das ist ihr Job.
 
Erotische Witze? Man könnte auch Zoten sagen.
 
Oh nein, ich bringe keine Zoten. Da gibt es wichtige Unterschiede. Wissen Sie, ich bekomme viel Post und darunter sind auch jede Menge Briefe, in denen Leute mir richtige Zoten erzählen. Das sind dermaßen derbe, platte Dinger, da geht es nur darum, möglichst viele Namen von Geschlechtsteilen unterzubringen. Erotische Witze sind feiner und sie kommen trotzdem gut an. In Verbindung mit Glaube und Sitte können sie sogar eine gewisse Sprengkraft entfalten.
 
Hat denn die katholische Kirche auf "Nich' mit Leo" reagiert?
 
Sie haben die Dreharbeiten behindert und gegen einige Fotos protestiert. Aber das reicht mir noch nicht. Wenn der Film gestartet ist, wird hoffentlich noch mehr Ärger auf uns zukommen. +++

(C) 16.2.1995 by Berliner Zeitung