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Berliner ZeitungEntführung mit Mozartkugeln
 
Zehn Jahre "Lindenstraße": Zum Geburtstag einen Fernsehfilm
 
von Bettina Cosack
 
"Aus für die Lindenstraße" verkündet in fetten Lettern die Boulevardzeitung "Blitz". Für Detlef Hase bricht eine Welt zusammen: Schließlich ist er, der Chefprogrammierer der Gebühreneinzugszentrale, ein Mega-Fan der ARD-Endlos-Serie und dazu glühender Verehrer von Mutter Beimer. Die "Lindenstraße" abgesetzt? Hase sinnt auf Rache, entführt die Dame seines Herzens - und der erste abendfüllende "Lindenstraßen"-Film nimmt seinen Lauf.
 
Ein Fernsehfilm als Geburtstagsgeschenk: Das hätten sich die "Lindenstraßen"-Macher vor zehn Jahren nicht träumen lassen. Vernichtend waren die Kritiken zur ersten Folge, die am 8. Dezember 1985 ausgestrahlt wurde: "Glückwunsch. An das ZDF" höhnte die "Welt am Sonntag". Doch aus dem häßlichen Entlein wurde mit der Zeit ein schöner Schwan, der auf der Welle des Erfolges schwimmt. Im Sommer wurde bereits die 500. Folge ordentlich gefeiert, am kommenden Sonntag ist der zehnte Geburtstag an der Reihe. Erst wird zur gewohnten Zeit die reguläre Folge gesendet, in der Ex-WDR-Chef Friedrich Nowottny eine Gastrolle übernommen hat. Und um 20.15 Uhr folgt die "Entführung aus der Lindestraße" - 80 Minuten lang extrem kurzweiliges Amüsement.
 
Die Handlung ist schnell erzählt: Nachdem Detlev Hase Marie-Luise Marjan direkt vom "Lindenstraßen"-Drehort weg entführt hat, versteckt er sie in einer Villa. Seine Drohung: Wenn die "Lindenstraße" abgesetzt wird, löscht er alle Gebührenzahler-Adressen, die ARD wäre ruiniert. WDR-Intendant Pleitgen, überzeugend dargestellt vom echten Pleitgen, ist schwer unter Druck
 
Exquisit ist die Besetzung des Fernsehfilms: 44 "Lindenstraßen"-Bewohner gibt es, 43 sind mit von der Partie. Aber nur Marie-Luise Marjan alias Mutter Beimer spielt sich selbst beziehungsweise Mutter Beimer. Alle anderen sind in gewissermaßen artfremden Rollen zu erleben: Joachim Hermann Luger alias Hans Beimer etwa stolpert als stotternder Kriminalassistent durch die Szene und Annemarie Wendl alias Else Kling ist als Pleitgen-Mutter zu erleben.
 
Herbert Feuerstein spielt den Computer-Experten - und das ganz exzellent: Sein Detlef Hase, Zahlenmensch von Beruf und humanistisch gebildet bis in die Zehenspitzen, findet in seiner Liebe zur "Lindenstraße" Erfüllung und lebt seine Liebe zu Helga Beimer ungeniert aus. Natürlich serviert er ihr im Versteck das Lieblingsessen Spiegeleier, natürlich überreicht er der Dame, die ständig mit Figurproblemen zu kämpfen hat, eine Schachtel Mozartkugeln, bevor er sie mit der Pistole bedroht.
 
"Lindenstraßen"-Fans werden sich bei dem Film vermutlich kringeln, Anspielung über Anspielung entdecken und ihre Serien-Helden manchmal kaum wiedererkennen. Nicht-Fans kommen aber auch auf ihre Kosten, wird doch das meist hektische Gewese des Krimi-Genres auf die Schippe genommen. Soviel Selbstironie hätte man der ARD gar nicht zugetraut.

(C) 8.12.1995 by Berliner Zeitung